Veränderung

Wir verändern die Dinge nicht, indem wir gegen die bestehende Wirklichkeit kämpfen. Um etwas zu verändern, müssen wir ein neues Modell entwickeln, das das alte Modell überflüssig macht.

Richard Buckminster Fuller

In welchem Zusammenhang das Zitat ist, weiss ich gar nicht. Gesehen habe ich es im Buch Reinventing Organizations, Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, Frederic Laloux.

Seit ich klein bin, und das ist nicht erfunden, finde ich wirklich, dass vieles schief läuft in der Welt. Der Ursprung liegt sicher in meinen Schulerfahrungen und den Dingen aus der Arbeitswelt, die ich bereits als Kind oft mitbekommen habe. Es ist, und auch das wurde mir erst vor Kurzem bewusst, gar nicht normal, dass Kinder viel von der Arbeit ihrer Eltern und dem Umfeld mitbekommen. An dieser Stelle lohnt sich vielleicht doch ein kurzer Einblick, wie oder was ich denn als Kind und Jugendlicher von der Arbeitswelt mitbekommen habe. Meine ersten Jahre wuchs ich in einem Haus auf, indem sich die Gemeindeschreiberei befand, die von meinen Grosseltern «betrieben» wurde. Neben dem, dass viele Leute ein- und ausgegangen sind, hörte ich diese oder jene Geschichte und (das vermute ich), spürte Emotionen, Anspannung, Erleichterung etc. die sich rund um die Arbeitstage abspielten. Mein Vater arbeitete im Spital, manchmal habe ich ihn besucht und später hatte er in einem anderen Beruf sein Büro zuhause. Auch dort habe ich unweigerlich vieles mitgehört, gesehen, gefühlt. Als Kind und Jugendlicher sind die Fühler für das, was schief läuft oder doch anders sein sollte, noch feiner und unbenebelt. Das denke ich zumindest, wenn ich jetzt daran zurückdenke.

Vieles läuft schief

Das war mir also bereits als Kind und Jugendlicher klar, auch wenn ich vieles nicht benennen konnte. Ausser natürlich von den Erfahrungen aus der Schule. Mit der Zeit begann ich mich immer mehr mit den Theorien und der Praxis rund um Psyche, psychische Gesundheit, dem Menschsein, neue Formen von Arbeit, dem Lernen etc. zu beschäftigen. In vielem fand ich Bestätigung meiner Gedanken und von meinen tief verankerten Gefühlen. Über die Anfänge und einige Theorien habe ich hier geschrieben.

Mit den ersten Berührungen zu Frithjof Bergmann vor ein paar Jahren fand ich mich definitiv in meinem Denken und Fühlen bestätigt. Nur, praktisch niemand verstand, was ich meinte oder wollte, wenn ich davon erzählte. «Die Welt ist halt so», «wie sollte es denn anders sein», «du bist ein Träumer», «du kannst die Welt nicht verändern». Das sind nur ein paar der Aussagen, die mir seither begegnet sind. Also versuchte ich, mich mit Ausbildungsabschlüssen glaubwürdig(er) zu machen, eine Basis zu schaffen, die mir ermöglicht, mehr davon in die Welt zu bringen und «etwas» zu verändern. Die Ernüchterung kam nach und nach. Denn die Ausbildungen sind ja auch Teil dieses Systems, sie bereiten einem nicht unbedingt darauf vor, selbst zu denken, zu verändern und zu gestalten, sondern das zu tun, was in den Lernzielen vorgegeben ist. Die Tiefe natürlich angepasst an die Taxonomiestufen, die Kompetenzen an Hierarchie und so weiter. Klar, viele würden widersprechen. So schnell geht es und die enge Verbindung zwischen Lernen, Aus- und Weiterbildung und der Arbeit sind auf dem Tisch. Ja, wofür würden wir den sonst lernen, wenn nicht für die Arbeit?

Wenn vieles schief läuft, muss man es wieder gerade biegen

Das zumindest ist die weitverbreitete Idee. Also wird geschraubt. Es wird geschraubt an der Schule und an Arbeitsformen. Es werden interen Kurse zu psychischer Gesundheit angeboten, zu Zeitmanagement, zur Entspannung, und was weiss ich. Es wird versucht, Schulnoten abzuschaffen, Makerspaces aufzubauen und sie werden gefeiert, die Menschen, die das tun. Sie bedienen das kollektive Gefühl der Unzufriedenheit mit (kleinen) Reparaturen. Das ist ja auch nicht komplett falsch und doch … Die Ansätze von Rogers, Frankl, Bergmann etc. werden bei all den Veränderungen und Ansätzen dort herangezogen, wo es halt gerade so ins System passt. Alles andere, dass (vielleicht entscheidende) da noch dahintersteckt, wird ignoriert. Dabei wäre dort echte Veränderung (oder Erneuerung, aber darauf komme ich bald) möglich. Ich vermische hier psychologische Grundkonzepte mit Bergmann und das nicht aus Versehen. Denn es geht um Humanismus. Um Menschen. Um uns.

Warum Reparieren nicht funktioniert

Hach, jetzt könnte man meinen, dass ich da Lösungen parat und die Weisheit mit dem Löffel gefressen habe. Natürlich habe ich das nicht. Auch ich bin immer wieder versucht, am System zu schrauben und am Bestehenden zu optimieren. Auf der einen Seite ist das auch nicht falsch und nötig, auf der anderen …Kommen wir zurück zum Zitat vom Anfang. «Wir verändern die Dinge nicht, indem wir gegen die bestehende Wirklichkeit kämpfen». Vieles, was wir zu ändern versuchen, ist ein Kampf gegen das Alte. Es ist diese bestehende Wirklichkeit, in der wir leben. Es ist schwer vorzustellen, wie es denn anders sein könnte, wenn wir nur hier und da schrauben. Uns fehlen die Ideen, wie es denn anders sein könnte. Deshalb funktioniert Reparieren vielleicht kurzfristig und nur sehr bedingt.

Dann gestalten wir neu

«Um etwas zu verändern, müssen wir ein neues Modell entwicklen, das das alte Modell überflüssig macht.»

Es ist schnell getippt und die Ideen sind da, nur wie? Wie?! Es gibt nicht die eine Lösung und nicht den einen Weg. Wir sind gefordert, neue Wege zu suchen, zu finden und zu gehen. Neue! Dort sind noch keine Pfade. Es ist unbekanntes Terrain, es ist unsicher, es macht vielleicht Angst, ist anstrengend und der Wind zuweilen kalt, beissend und der Nebel dicht. So geht es zumindest mir immer wieder, wenn ich mich aufmache, in diese Richtung zu gehen. Schliesslich sind wir ja so herangezogen worden, dass wir in diese Wirklichkeit passen, in der wir im Moment leben. Das darf aber keine Ausrede sein, sondern nur eine Reflexion.

Gestalter*innen sind schon lange nicht mehr alleine!

Das Neue ist bereits hier und es funktioniert! Bei mir im Bücherregal stehen zwei Bücher, die Geschichten von erfolgreichen Organisationen erzählen, die neue Wege gegangen sind. Solche, die Modelle entwickeln, die das Alte überflüssig gemacht haben. Eines ist das Buch der Corporate Rebels, Wie Pioniere die Arbeitswelt revolutionieren und das andere Reinventing Organizations, Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit von Frederic Laloux. Es steht auch noch das eine oder andere Leadership-Buch daneben, denn gerade Leader spielen dabei auch eine wichtige Rolle. Auch dort gibt es Vorreiter*innen und Vorbilder. Wir sprechen also nicht mehr von einer Utopie, von Träumerei und von irgendwelchen Versuchen. Es sind funktionierende, erfolgreiche Organisationen. Es ist Realität.

Warum ändert sich dann doch (fast) nichts?

Wirkliche Veränderungen und neue Dinge zu erschaffen sind anstrengend. Es heisst, das Bestehende wirklich wirklich zu hinterfragen oder noch besser zu schauen, was wir wirklich wirklich wollen. Das ist aber auch wirklich anstrengend. Zumindest am Anfang. Also halten wir am alten fest. Jemand hat mir einmal gesagt: «Lieber die bekannte Hölle, als das unbekannte Paradies».

Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in der gedenke ich zu leben.

Albert Einstein

Dieses Zitat möchte ich für mich etwas anpassen:

Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Gegenwart, denn in der lebe ich.

Die Zukunft wird anders sein. Wie, wissen wir nicht. Wir alle haben aber die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Warum sich (fast) nichts ändert, habe ich (denke ich zumindest) oben erwähnt und erklärt. Das darf aber nun Vergangenheit sein. Wenn wir nun in der Gegenwart gestalten und damit auch in die Zukunft blicken, dann werden uns diese Muster immer wieder begegnen. Wir sind gefragt, damit zu Jonglieren, zu Balancieren und das Neue gemeinsam zu erschaffen.


Foto: Ben Zaugg