«Selbstorganisation ist kein überraschendes, neues Merkmal der Welt. Es ist eine Art und Weise, wie sich die Welt seit Milliarden von Jahren selbst geschaffen hat. Selbstorganisation steht am Anfang allen menschlichen Handelns. So arbeiten wir, bis wir den Prozess unterbrechen, um zu versuchen, uns gegenseitig zu kontrollieren.»
Zitat von Margret J. Wheatley und Myron Kellers-Rogers, aus dem Buch Reinventing Organizations von Frederic Laloux
Selbstorganisation ist natürlich. Eigentlich.
Eigentlich würden wir uns also selbst organisieren. Eigentlich. Menschen sind ein Teil der Natur, auch wenn das gerne vergessen geht oder ignoriert wird. Auch die Natur organisiert sich immer wieder selbst, wenn wir sie denn lassen. Wenn es heute um Selbstorganisation geht, dann ist aber meistens nicht die Natur, sondern ein Unternehmen oder ein Team gemeint. Am häufigsten ist dies wohl in IT- oder IT nahen Unternehmen der Fall. Die Gründe, eine Selbstorganisation einzuführen oder einführen zu wollen, sind sicher vielfältig und oft nicht aus Überzeugung, sondern eher um ein «attraktiver» Arbeitgeber zu werden oder mit der Idee schneller zu mehr Erfolg (Geld, Wachstum etc.) zu kommen.
Hier sind wir nun
Wir Menschen habe es geschafft, uns die Welt und unsere Arbeit immer einfacher zu machen. Wir müssen beispielsweise keine Pferde mehr vor die Kutsche spannen, ausser vielleicht als Freizeitbeschäftigung. Wenn wenn wir Nahrung brauchen, können wir sie bis vor die Haustür liefern lassen. Es läuft immer mehr digital und wenn wir es schlau gestalten, müssen wir fast nie mehr das Haus verlassen. Wie gemütlich! Wobei wir erwähnen müssten, dass natürlich jemand arbeiten muss, um uns das Essen zu liefern und die Welt eigentlich komplexer geworden ist. Aber egal.
«Menschen lernen durch den Ausbau, die Differenzierung und Veränderung ihrer Erfahrungen.»
Rolf Arnold
Welchen Preis zahlen wir?
Lernen oder die Lernfähigkeit ist uns angeboren und wir lernen auch relativ viel in kurzer Zeit. Später dürfen wir die Schule besuchen und dort lernen wir dann nicht mehr das, was wir möchten oder was uns wichtig ist, sondern den Lernstoff, wir arbeiten die Lehrpläne ab und schreiben im besten Fall gute Noten. Diese Noten wiederum dienen einer Selektion und Einteilung in gut und schlecht. Diese Bewertungen sind entscheidend, wie wir ins Berufsleben einsteigen können und auch wenn vieles möglich wäre, gibt es zu viele Menschen, die ihr Potenzial nicht nutzen können oder immer wieder dafür kämpfen müssen. Im Berufsleben zählen dann Diplome, Zertifikate, Abschlüsse oder Bewertungen im Mitarbeitergespräch, welches einmal im Jahr stattfindet. Natürlich zählen auch immer noch möglichst lineare Lebensläufe. Diese Anforderungen stellen sich eigentlich quer zu den oft genannten Zukunftskompetenzen und Anforderungen in der VUCA-Welt. Aber wen interessiert das schon. Es ist doch besser, Massnahmen gegen den Fachkräftemangel zu treffen und etwas Agilität ins Unternehmen zu bringen oder Employer Branding zu betreiben. Wichtig zu erwähnen: Die zunehmende psychische Belastung der Jugendlichen und Erwachsenen hat wahrscheinlich nichts mit dieser Bewertungskultur und den Widersprüchen zu tun, sondern einfach mit der Unsicherheit durch Corona und den Lockdowns. So einfach ist es. Oder?
«Anscheinend verträgt der Mensch auf Dauer die absolute Unbeschwertheit im psychologischen Sinne ebenso wenig wie die absolute Schwerelosigkeit im physikalischen Sinne. Und anscheinend kann er im sinnlosen Raum ebenso wenig wie im luftleeren Raum existieren.»
Viktor E. Frankl
Zwischen Über- und Unterforderung
Es wird uns also vieles im Leben abgenommen und gleichzeitig so vieles gefordert, was uns als Menschen nicht entspricht. Was ist denn nun heute wichtig und was in Zukunft? Es sind Fragen, die unterschiedliche Generationen betreffen und so auch unterschiedlich beantwortet werden. Die «Alten» habe die Welt geschaffen, in der wir leben und die «Jungen» müssen sich dem entweder fügen oder entgegenstellen. Wirkliche Veränderungen könnten wir gemeinsam gestalten. Aber wer will das schon?
Scheiss Zukunft
So sieht die Zukunft irgendwie scheisse aus. Eigentlich hätten wir alles, so vieles ist einfacher als früher und dafür gehen wir Menschen und unser Planet kaputt. Wenigstens gehen wir zusammen in den Abgrund.
oder doch nicht?
Wo könnten bei so dunklen Prognosen und Kritik noch Lösungen liegen? In der Vergangenheit ging vieles um Spezialisierung und um Wachstum. Das kann den Blick verengen und Zusammenhänge gehen verloren. Wenn wir an die Zukunft denken, dann könnten humanistische und gemeinschaftliche Gedanken in die richtige Richtung weisen. Wie können wir zusammen eine Zukunft gestalten, in der es uns Menschen und der Natur gut geht. Als Massstab könnte die Enkeltauglichkeit dienen, also die Frage: Ist das, was wir tun und wie wir es tun, gut für das Leben der Kinder unserer Kinder? Dafür müssen wir die Antworten (noch) nicht kennen, sondern Vertrauen und Raum für Selbstorganisation schaffen.
Vielleicht hast du dich beim Lesen verstanden gefühlt oder in dir ist Wut oder Ablehnung aufgestiegen. Hast du dich gefragt, wo die Zusammenhänge sind? Gut so. In diesem Blog stehen einige Begriffe und Themen völlig undifferenziert in der Kritik. Es werden «Alte» oder «Junge» in jeweils einen Topf geworfen und ein Bezug zwischen der Bewertungskultur resp. Corona und psychischen Leiden hergestellt. Es ist nie so einfach und nur einseitig, aber genau das wird uns immer wieder vermittelt und weil das für unser Hirn energiesparend ist, nehmen wir das gerne auch so hin.
Wie die Zukunft wird, wissen wir nicht, sie beginnt aber bereits heute. Die Gegenwart und die Zukunft können wir nur zusammen gestalten. Dafür müssen wir Widersprüche oder Unsicherheiten aushalten und immer wieder ausprobieren, hinterfragen und neu anfangen.
«Wir sollten die Architekten unserer Zukunft sein, nicht ihre Opfer»
Richard Buckminster Fuller