Lernendenzentriert oder der Mensch im Mittelpunkt
Schulwandel, Schule neu denken und neu machen, New Learning etc. sind immer häufiger zu lesen und zu hören. Wir sind rund um Colearning ein Teil von dieser Bewegung oder diesen Bewegungen und Gedanken, die viel älter sind, als viele denken. Denn es sind nicht erst wir, die sich diesen Themen annehmen.
Bereits Carl Rogers hat sich um 1960 mit den Themen rund um personen- oder eben schülerzentriertes Unterrichten beschäftigt. Er hat versucht, seine Erkenntnisse aus der Psychotherapie auf die Schule oder das Lehren resp. Lernen zu übertragen. Er hat es nicht nur versucht, sondern in Vorlesungen auch umgesetzt. Er gab keine Noten und liess die Studenten selbst entscheiden, was sie lernen wollten. Das war alles andere als einfach, denn er handelte nicht nur in Vorlesungen mit Studenten so, sondern auch in Lehrveranstaltungen mit Fachleuten, die extra anreisten, um vom grossen Carl Rogers zu lernen. Sie wollten hören, was er zu sagen hatte und seine Erfahrungen und sein Wissen aufsaugen. Daraus wurde im beschriebenen Beispiel leider nichts.
In seinem Buch «Die Entwicklung der Persönlichkeit» beschreibt er, wie Schule oder Lernen und Lehren aussehen könnten, wenn es nicht um das Vermitteln von Inhalten, sondern um Beziehung, das Vertrauen in den Prozess und selbstmotiviertes Lernen ginge.
«Ich habe versucht, die Art von Erziehung zu beschreiben, die sich aus den im Bereich der Psychotherapie gewonnenen Erkenntnissen ergeben würde. Ich habe mich darum bemüht, in kürzester Form darzulegen, welche Bedeutung ein Lehrerverhalten hätte, dessen zentrales Merkmal es wäre, eine Beziehung , ein Atmosphäre zu entwicklen, welche selbstmotiviertes Lernen ermöglichte. Es handelt sich hier allerdings um eine Richtung, die von den heutigen Praktiken und Tendenzen der Erziehung deutlich wegführt.»
Die Praktiken und Tendenzen sind wohl auch im Jahr 2022 nicht viel anders als 1960. Traurig oder bedenklich, wenn man daran denkt, dass die Welt eine komplett andere ist und wir z. B. mittllerweile mit leistungsstarken Minicomputern (Smartphones) unterwegs sind und uns nahezu alles Wissen dieser Welt innerhalb von Sekunden beschaffen und unser eigenes teilen können. Trotzdem trauen wir es den Menschen anscheinend immer noch nicht zu, selbstgesteuert und von innen heraus zu lernen. Gefordert wird es zwar, dieses lebenslange Lernen und mit der Forderung klingt es wieder eher nach (Selbst-)Optimierung und Zwang.
Carl Rogers Gedanken und Versuche zu(m) «Lehren» funktionieren und sind heute u. a. mit neurobiologischen Erkenntnissen belegt. Warum sind wir also noch nicht weiter? Damit hier keine Missverständnisse entstehen. Ich spreche hier ganz klar auch von der Aus- und Weiterbildung für Erwachsene Berufsleute.
Es sind nicht nur die Erfahrungen und Gedanken von Carl Rogers, die in diesem Buch zu lesen sind, sondern beispielsweise auch Erfahrungsberichte. Hier ein Ausschnitt aus dem Bericht eines Studenten:
«Die Methode, die Rogers anwandte, war frei, fliessend, offen und permissiv. Beispiel: Ein Teilnehmer begann eine interessante Diskussion: ein zweiter griff den Punkt auf; ein dritter führte uns vielleicht weg in eine andere Richtung.[…] So ist es aber im Leben: es fliesst wie ein Fluss. […] Der autoritäre Mensch, der auf sauber geordnete Fakten fixiert ist, hält diese Methode sicherlich für bedrohlich, denn hier findet er keine Bestätigung, keine Beruhigung, sondern nur eine Offenheit, ein Fliessen, nichts abgeschlossenes.»
Da wären wir wieder beim lebenslangen Lernen. Es ist (Ergebnis-)Offen, im Fluss und nichts abgeschlossenes.