«Der Mensch ist lernfähig, aber unbelehrbar»
Rolf Arnold
Einleitende Gedanken
Die Kompetenzorientierung in der Bildung ist (eigentlich) nichts Neues. Es ist kein Geheim- oder Zauberrezept, welches die Bildungswelt revolutioniert und doch ist es für Bildungsinstitutionen, Unternehmen und Lehrpersonen ein oft (enorm) grosser Schritt. Für viele fühlt es sich eben doch wie eine Revolution an. Der Wandel weg vom klassischen Unterricht hin zu kompetenzorientierter Bildung wird zum Transformationsprozess. Am Ende ist vieles nicht mehr, wie es war.
Dieser Wandel ist keine schöne und nette Idee, sondern eine Notwendigkeit. Sie wird unserer Zeit, der (aktuellen und zukünftigen) Arbeitswelt und den Menschen mit ihren immer individuelleren Berufs- und Bildungswegen gerecht.
Schauen wir uns an, woher wir kommen und wohin wir gehen (sollten).
Klassischer Unterricht: Traditionelle Methoden und ihre Grenzen
«Das formale Bildungssystem und die Wirklichkeit des beruflichen Alltags klaffen meilenweit auseinander. Zumindest in den allermeisten Fällen.»
Wagner Anja C. (2021), Berufen statt zertifiziert, Neues Lernen, neue Chancen, S. 29
Bildungsangebote in der Erwachsenenbildung konzentrieren sich immer noch stark auf die Wissensvermittlung durch Dozent:innen und zunehmend auch durch E-Learnings oder ähnlich vermittelnde Methoden. Die Lernenden soll(t)en ohne Rücksicht auf ihre Vorerfahrungen und Bedürfnisse beschult werden. Bei dieser Frontalbeschallung stehen Lehrende, Trainer:innen, Dozent:innen (oder der Inhalt bei E-Learnings) oft im Mittelpunkt. Die Lernprozessse für die Lernenden sind passiv. Sie (sollten) konsumieren.
Merkmale sind:
- Frontalunterricht & Präsentationen: Die Dozent:innen vermitteln Inhalte, während die Lernenden hauptsächlich zuhören, mitschreiben oder etwas ganz anderes tun. Sie lassen es über sich ergehen.
- Standardisierte Lerninhalte: E-Learnings, die durchgearbeitet werden müssen und anschliessend werden einige Fragen beantwortet.
- Standardisierte Prüfungen «Bulimielernen»: Wissen wird durch Tests abgefragt, die in erster Linie eingeprägtes Wissen abfragen.
- Feste Lehrpläne: Es wird nach klaren und vorgegebenen Lernplänen unterrichtet. Bedürfnisse und Vorkenntnisse der Lernenden spielen eine kleine und unwichtige Rolle.
Die klassische Wissensvermittlung kann in Bereichen hilfreich und nötig sein. Vor allem dann, wenn es um sehr standardisierte und technische Lerneinheiten geht. In vielen Fachbereichen stösst dieser Lehransatz in unserer modernen Arbeitswelt und Erwachsenenbildung zunehmend an seine Grenzen (oder hat sie bereits erreicht). Sich Wissen anzueignen und es zum Zeitpunkt X wiederzugeben, macht immer weniger Sinn, auch, da es bis zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits veraltet ist. Diese Art des «Lernens» wird weder dem Gehirn noch den Anforderungen der und an die Menschen gerecht.
Kompetenzorientierung: Ein (nicht ganz so) neuer Ansatz
Kompetenzorientierung stellt die Entwicklung von Menschen, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Fokus. Lernende werden befähigt und befähigen sich selbst, Herausforderungen in der (Arbeits-)Welt zu bewältigen. In dieser Hinsicht wird auch von kompetenzorientiertem Unterricht gesprochen. Hier kann man noch einen Schritt weiter gehen und Unterricht streichen oder reduzieren. Es ist wichtig(er) Lernumgebungen und eine (neue) Lernkultur zu schaffen.
Kompetenzorientierung heisst:
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Praxisorientierung: Es geht bei den Lerninhalten um reale Themen/Projekte und Kompetenzen die zu den alltäglichen beruflichen und/oder persönlichen Herausforderungen passen.
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Individuelle Lernwege: Die Vorkenntnisse und Bedürfnisse der Lernenden stehen im Vordergrund. Lerninhalte und Methoden werden an die Bedürfnisse der Menschen angepasst oder gleich von ihnen selbst bestimmt und er- und bearbeitet.
«Menschen lernen in der Form einer Suchbewegung. Diese ist stets Ausdruck einer eigenen Begründung bzw. eines eigenen Lernprojekts.»
Arnold Rolf (2017), Entlehrt euch! Ausbruch aus dem Vollständigkeitswahn, S. 16
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Kooperation & Reflexion: Lernende und Lernbegleiter:innen sind im ständigen und gegenseitigen Austausch. Gegenseitiges Feedback und Reflexionen unterstützen die Lernprozesse. Das gemeinsame und offene Lernen fördert Zusammenarbeit und Vertrauen. Mehr dazu gibts auch in den Beiträgen Partizipation - Arbeit gemeinsam gestalten oder Mentoring.
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Neue Rollen für Lernende und Lehrende: Der Fokus liegt nicht mehr auf dem «Füttern» und «Konsumieren». Lernende werden zu (Mit)Gestaltern ihres eigenen Lernens und dem der Gruppe. «Lehrende» werden zu Lernbegleiter:innen oder Lerncoaches.
Vorteile der Kompetenzorientierung
Der Fokus auf die individuellen Lernwege und die praxisnahe Kompetenzentwicklung scheint mir in Anbetracht der Lebensrealität von uns Menschen sowie der Art wie sich die Arbeitswelt verändert zwingend. Sie bringt viele Vorteile mit sich.
- Lernen macht Freude: Das praxisorientierte Lernen hat eine Relevanz für die Lernenden und Gelerntes kann direkt in die Praxis einfliessen. Das motiviert Menschen i. d. R. mehr, als wenn sie etwas auf Vorrat lernen oder wenn sie keine Relevanz für sich sehen.
- Realitätsnah und Praxisorientiert: Beim kompetenzorientierten Lernen verfliessen i. d. R. verschiedene (Fach-)Bereiche miteinander. Persönliche und fachliche Entwicklung lassen sich nicht mehr klar trennen. Durch die (Teil-)Verantwortung der Lernenden an ihren eigenen Lernprozessen werden Problemlösefähigkeiten, Kooperation und Kollaboration gefördert.
- Lebenslanges Lernen: Lernen will gelernt sein und so müssen wir auf dem Weg zum kompetenzorientierten Lernen vieles wieder verlernen. Viele Menschen «müssen» zuerst wieder erleben und entdecken, dass sie kompetente Lerner:innen sind. Die kontinuierliche Kompetenzentwicklung wird so gefördert.
«Erforderlich ist vielmehr die Stärkung des methodischen und sozialen sowie emotionalen und reflexiven Vermögens der oder des Lernenden an und in der Auseinandersetzung mit inhaltlichen Fragen. Der reflexible Menschen lernt dabei nicht nur «etwas», sondern erweitert seine persönlichen Fähigkeiten.»
Arnold Rolf (2017), Entlehrt euch! Ausbruch aus dem Vollständigkeitswahn, S. 16
Herausforderungen und Chancen
Ein Wandel von klassischen Unterrichts- und Ausbildungsformaten hin zu kompetenzorientiertem Lernen kann eine grosse Herausforderung für Unternehmen und Bildungsinstitutionen sein. Es sind Transformationsprozesse, nach denen vieles nicht mehr ist, wie es einmal war. Wie wir oben bereits gelesen haben, hat das einen Einfluss von der Ausgestaltung der Lernprozesse bis hin zu den Rollen der Lehrenden.
Mögliche Erfolgskriterien
- (Lern-)Kultur: Wo befindet sich die Organisation? Geht man bereits grob in die Richtung einer lernenden Organisation? Wie sieht die Organisationskultur so grundsätzlich aus und was befindet sich unter der Oberfläche?
- «Gute» Führung: Was das auch immer heissen mag. Im Wandel brauchen Führungskräfte verschiedene Kompetenzen. Zu Leadership im Wandel habe ich hier geschrieben.
- Transformations- und Change-Kompetenz: Welche Transformationskompetenzen sind im Unternehmen vorhanden? Wie kann man einen Veränderungsprozess angehen und worauf könnte man achten? Welche Widerstände sind zu erwarten? Wie kann und will man mit ihnen umgehen?
Es sagt niemand, dass dieser Wandel einfach ist oder wird. Der Weg dorthin wird sich aber lohnen. Es braucht Mut, Offenheit, Vertrauen in sich, die Menschen und den (Lern-)Prozess.
📕Lernhacks, Mit einfachen Routinen Schritt für Schritt zur agilen Lernkultur
📕Team Toppings, 21 Lernhacks für agiles Arbeiten
📕Berufen statt zertifiziert, Neues Lernen, neue Chancen
📕Future Skills, 30 Zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können
📕Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation
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